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Von der Internetblase über die Finanzkrise bis zur aktuellen, historisch ultralockeren Geldpolitik: Chefökonom und Alumnus Daniel Kalt hat in 20 Jahren UBS einige Wirtschaftszyklen durchlebt. Im Porträt erklärt er, wieso unterschiedliche Meinungen gerade in seinem Job befruchtend sind.
Lampenfieber? Ja, das kennt er. Daniel Kalt kann sich gut an das Gefühl vor seinem ersten Fernsehauftritt erinnern. Das ist aber Jahre her. Heute hört und liest man seine Einschätzungen zur Wirtschaftslage regelmässig in TV und Zeitung oder hört ihn entspannt vor 300 Kunden sprechen: Pro Jahr absolviert der Chefökonom und Chief Investment Officer der UBS Schweiz zwischen 180 und 200 Auftritte.
Dieser Austausch ist ihm sehr wichtig. Denn als Ökonom beschäftigt er sich wenig überraschend viel mit Zahlen, analysiert Indikatoren wie den Konsumentenpreisindex, die Inflation, das Börsengeschehen. Aber: «Neben der Analyse von nackten Zahlen ist es genauso wichtig, vor Ort mit Kunden und Unternehmern zu sprechen», erklärt Kalt. So kann er den Puls der Wirtschaft fühlen sowie Zahlen und Praxis zu einem Gesamtbild zusammenfügen.
Das ist es, was ihn immer an einer Wirtschaftsausbildung gereizt hat: das «Big Picture». Der energiegeladene Ökonom, der in seiner Freizeit gerne in den Bergen ist und im Winter leidenschaftlich Ski fährt, will Zusammenhänge verstehen.
Deshalb war für ihn auch rasch klar, dass er im Wirtschaftsstudium an der UZH einen Schwerpunkt in der Volkswirtschaftslehre setzen wollte. Über ein Praktikum hat er schliesslich seinen Weg ins Research der UBS gefunden und parallel dazu noch eine Dissertation geschrieben.
Eine akademische Karriere war jedoch nie sein Ziel, und so hat er nach dem Doktorat das Angebot, im Research-Bereich der UBS zu starten, ohne zu zögern angenommen. Das war im Jahr 1997 und damit eine spannende Phase: Bankverein und SBG fusionierten zur heutigen UBS, und der Schweizer Immobilienmarkt hatte gerade eine schwere Krise hinter sich. So kam es, dass Kalt in einer nächsten Station seiner Karriere im Kreditportfoliomanagement der Bank neue Ratingtools und risikoadjustierte Preissetzungssysteme – damals noch keine Selbstverständlichkeit – mitentwickelte.
Nach diesem Abstecher an die Front zog es ihn jedoch wieder ins Research, seiner Leidenschaft, der er bis heute treu geblieben ist. Er wechselte ins Team von Klaus Wellershoff, dem damaligen Chefökonomen, wo er die Analyse des Schweizer Marktes übernahm.
Heute leitet er das elfköpfige Team selbst. Neben seiner Rolle als Chefökonom ist er Teil des Chief Investment Office, das die Anlagestrategie für die rund 2200 Milliarden Franken der im Vermögensverwaltungsgeschäft betreuten Anlagen der UBS definiert. 200 Analysten, Ökonomen und weitere über den Globus verteilte Experten gehören diesem Office an.
Auch hier ist der Austausch untereinander sehr wichtig: Die Research-Verantwortlichen aller Regionen halten sich regelmässig gegenseitig auf dem Laufenden, teilen Einschätzungen, diskutieren wirtschaftliche und geopolitische Entwicklungen.
Dabei treffen durchaus auch unterschiedliche Meinungen aufeinander: «Während zum Beispiel die Europäer momentan die politische Situation in den USA für einen grossen Unsicherheitsfaktor halten, fürchten Amerikaner und Asiaten um den Zusammenhalt in Europa. Jeder sieht das Problem eher in der anderen Weltregion», schmunzelt Kalt. «Genau deshalb ist es so zentral, dass man sich gegenseitig immer wieder herausfordert und Argumente austauscht – um die eigene Wahrnehmung in einen globalen Kontext zu setzen und letztlich das Bestmögliche für unsere Kunden zu entscheiden.»
Es ist eine grosse Verantwortung, die Kalt und seine Kollegen im Anlagekomitee tragen, schliesslich sind es grösstenteils Spar- und Vorsorgegelder, die bei der Bank verwaltet werden. Gleichzeitig sind Prognosen per se immer mit Unsicherheit behaftet, und es ist kaum möglich, die Wirtschaftsentwicklung jederzeit richtig vorherzusagen. Wie geht er damit um?
«Wenn man diesen Job macht, muss man sich bewusst sein, dass man nicht immer richtigliegen kann», ist der 48-Jährige überzeugt. «Wer die Entwicklungen langfristig sechs bis sieben von zehn Mal richtig prognostiziert, der ist gut.»
Als Beispiel nennt er den Euro: Bereits Ende 2016 hatten er und sein Team damit gerechnet, dass der Euro wieder stärker wird. Effektiv passiert ist es erst im Sommer 2017. «Die Argumente waren richtig, aber beim Timing waren wir zu früh. Dazu muss man stehen können.»
Für die nächsten sechs bis zwölf Monate wird er neben geopolitischen Risiken vor allem den Ausstieg der Zentralbanken aus der lockeren Geldpolitik kritisch beobachten. Die US-amerikanische Fed hat bereits damit begonnen, die Zinsen anzuheben, die EZB wird versuchen, ihr Anleihenkaufprogramm zur Stützung der Märkte zu reduzieren.
Das hat neben innenpolitischen Themen wie der Beziehung der Schweiz zur EU oder der Unternehmenssteuerreform auch einen grossen Einfluss auf die hiesige Wirtschaft. Das Heikle daran ist, dass es keine Erfahrungswerte gibt, wie die Wirtschaft auf den Entzug reagieren wird. «Wir werden erst sehen, wie es dem Patient Weltwirtschaft zehn Jahre nach der Finanzkrise wirklich geht, wenn man ihm die Krücken wegnimmt», so Kalt.
Im Gespräch wird deutlich, dass der Ökonom in seiner Arbeit aufgeht. Nach einem Arbeitstag voller Analysen, Berichte, Gespräche und Präsentationen greift er abends dann doch lieber zum Krimi statt zu weiterer Fachliteratur. «Oder ich helfe meinen Kindern noch bei Mathe- oder Deutsch-Hausaufgaben – wie das halt so ist», schmunzelt der zweifache Vater.
Autorin: Priska Feichter
Bilder: Rodolfo Sacchi