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Ein VWL-Abschluss und ein Doktortitel in Philosophie: keine unbedingt übliche Kombination. Der Schriftsteller und Alumnus Philipp Tingler erläutert, warum sie eine naheliegende ist und welches Buch man jedem CEO in die Hand geben kann.
Philipp Tingler spricht leise und zügig, wählt seine Worte trotzdem mit Bedacht und formuliert Sätze aus dem Stegreif, wie mancher sie nur nach reiflicher Überlegung niederschreiben würde. Als Kulisse für das Gespräch bietet die Museumsgesellschaft Zürich das Literaturhaus an; für ein Treffen mit einem Schriftsteller der richtige Ort.
Doch wer ist dieser Schriftsteller eigentlich? An der Universität Zürich schloss Philipp Tingler sein VWL-Studium ab, danach doktorierte er im Fach Philosophie. Er tritt regelmässig im SRF Literaturclub auf, hat zahlreiche Bücher verfasst, wurde mehrfach ausgezeichnet und schreibt regelmässig Essays und Glossen in Tageszeitungen sowie Magazinen. 1970 kam er in Westberlin auf die Welt und machte sich Ende der Achtzigerjahre auf den Weg in die Schweiz, um an der HSG zu studieren und danach «Industriekapitän» zu werden.
Der Anfang lief nach Plan, er zog fürs Studium nach St. Gallen, wechselte nach einem Auslandaufenthalt an der LSE aber nach Zürich, wo er «ohnehin schon jedes Wochenende war». Der Grund für den akademischen Wechsel fusste aber auch auf einer Werteveränderung: «Nach dem Aufenthalt an der LSE war es für mich klar, dass ich die Sache nicht in St. Gallen beenden konnte.» In Zürich durfte Tingler auch Nebenfächer belegen, er wählte die Philosophie, quasi als Kompensation, da er sich zu jenem Zeitpunkt schon etwas von der Ökonomie entfernt hatte.
Trotzdem ist er heute als Schriftsteller froh, dass er über ein fundiertes wirtschaftliches Wissen verfügt, denn seiner Meinung nach gehört die ökonomische Sphäre zu den leitenden unserer Zeit: «Die Menschen richten sich danach aus, und jeder äussert sich irgendwie dazu, gerade auch Künstler oder Schriftsteller. Und bei einigen Äusserungen denke ich dann jeweils, dass es nicht geschadet hätte, zuvor mal ein Semester VWL belegt zu haben.»
Die Gebiete der Ökonomie und der Philosophie überschneiden sich häufig, in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion komme das aber leider zu wenig zur Geltung, meint Tingler, der auch das Zürcher Bürgerrecht hat. Dabei würde es aber genau da erst richtig interessant: «Fragen wie ‹Was ist eine gerechte Einkommensverteilung?› oder ‹Kann ich in Kauf nehmen, dass es einigen Leuten schlechter geht, wenn es einer quantitativ grösseren Zahl von Menschen besser geht?› werden immer auch philosophisch beantwortet.»
Die Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen bedinge gerade als CEO eine grosse Reflexion, die weit über reines Profitdenken hinausgehe: «Natürlich gibt es immer noch solche London City Boys, denen es nur darum geht, mit ihren Hedge-Fonds maximale Kohle zu machen», fährt Tingler fort, es handle sich aber um ein veraltetes Vorurteil, alle Manager und Unternehmensführer in diesen einen Topf zu werfen.
Als Entscheidungsträger sei es wichtig, sich über Werthierarchien und den Sinn oder höheren Zweck einer ökonomischen Unternehmung Gedanken zu machen: «Das Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser Faktoren ist schon da. Eine besondere Rolle kommt darum den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten zu, damit diese den kommenden Entscheidungsträgern dieses Bewusstsein und die dazugehörigen Werte vermitteln können. Denn diese Fakultäten sind die global vernetzten Think-Tanks der Zukunft».
Tinglers nächstes Buch ist bereits in Planung, er schreibt regelmässig für verschiedene Publikationen oder tritt im Fernsehen auf. Kurz: Das Geschäft läuft. Ist der Traum vom Industriekapitän doch wahr geworden? «Auf meine eigene kleine Art bin ich ja nun Manager, und zwar der meiner eigenen kleinen Firma. Ich bin jetzt einfach auch das Produkt und schaue immer, wie diese Marke positioniert ist», stellt er zufrieden fest.
Das Schreiben sei zwar immer schon dagewesen, es habe aber nie einen Masterplan gegeben: «Es gab nicht mal einen Plan B.» War so viel Selbstbewusstsein vorhanden? «Entweder das, oder es fand einfach keine Reflexion statt über mein Tun», erzählt er lachend und fügt hinzu: «Wissen Sie, manchmal muss man dem Leben ein bisschen vertrauen, man muss ein bisschen Freundlichkeit investieren. Dann kommt das Leben einem auch entgegen.»
Er ist sich durchaus bewusst, dass er als erfolgreicher Autor aus einer privilegierten Warte spricht. Als Teil des Literaturbetriebs – dem manche bereits schwere Zeiten prophezeit haben – ist er sich aber auch sicher, dass es immer einen Absatz geben wird für Literatur: «Wenn ich mir so überlege, wie viele Titel jedes Halbjahr erscheinen, müssen wir uns nicht darum sorgen, zu wenig Auswahl zu haben. Bücher werden weiterhin gekauft, trotz der E-Reader.»
Auf die Frage, welches Buch er den Entscheidungsträgern dieser Welt empfehlen würde, antwortet er nach einer kurzen Pause mit «Herr der Fliegen» von William Golding. Bei der letzten Lektüre sei er fast konsterniert gewesen von der Zeitlosigkeit der Botschaften im Buch und davon, wie schnell es gehen kann, bis zivilisatorische Errungenschaften sich auflösen: «Der Erste, der immer dran glauben muss, ist der dicke Junge mit der Brille, der eigentlich die klugen Sachen sagt. Und ich glaube, wir sind auch wieder an einer Schwelle, an der wir schauen müssen, dass dem dicken Jungen mit der Brille nichts passiert.»