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Zu einem Wirtschaftsstudium hatte sie sich schliesslich entschieden, weil sie nicht völlig auf Mathematik verzichten wollte: Nicole Burth Tschudi ist seit September 2015 CEO von Adecco Switzerland. Sie hat damit eine Führungsposition in einer Branche, die eine grundlegende Transformation durchläuft.
Um kurz nach acht Uhr kommt sie mit einer Kaffeetasse in der Hand um die Ecke. Ein früher Termin war Nicole Burth Tschudi am liebsten: Relativ neu im Amt als CEO von Adecco Switzerland, ist ihr Terminkalender voll. Die ersten Monate sind ihr wichtig, um die Mitarbeitenden und die lokalen Bedürfnisse kennen zu lernen und sich zu überlegen, was für die nächsten drei Jahre die prioritären Ziele sind. Die Mischung aus Ruhe, Klarheit und Energie, die sie ausstrahlt, gehört sicherlich zu ihrem Erfolgsrezept: Bei jedem Stellenwechsel war für sie klar, dass sie sich voll in den neuen Job einbringen will, sich klare Ziele steckt und versucht, diese bestmöglich zu erreichen.
Ihren Werdegang hat sie aber nicht bewusst geplant. „Ursprünglich wollte ich Anwältin werden.“ Auf die Frage wieso, lacht Nicole Burth. „Es klingt wie eine Geschichte, aber es war wirklich so: Dr. Renz von ‚Ein Fall für zwei‘ war mein Idol, seitdem ich etwa neun Jahre alt war, deshalb wollte ich Jus studieren. Sein scharfer Verstand und die Wortgewandtheit haben mir imponiert.“ Allerdings habe sie ein Kollege darauf aufmerksam gemacht, dass sie dann gar keine mathematischen Fächer mehr habe. Da ihr der Umgang mit Zahlen liegt, hatte sie sich stattdessen ziemlich spontan für ein Wirtschaftsstudium eingeschrieben und hier mit Vorliebe mathematiknahe Fächer wie Ökonometrie belegt. „Die Wahl des Faches ist gar nicht so zentral. Wichtig ist, die Methodik zu lernen. Wo finde ich Informationen, wie kann ich sie sinnvoll kombinieren und analysieren.“ Das sei in ihren Augen der Hauptwert eines Studiums.
Auf ihrem bisherigen Weg hat Nicole Burth Tschudi unterschiedliche Unternehmensbereiche und Branchen kennen gelernt. Nach dem Studium war sie in verschiedenen Führungsfunktionen im Aktienresearch bei Lombard Odier Darier Hentsch, der Deutschen Bank und UBS tätig. Seit 2005 ist sie nun bei der Adecco Gruppe. Auch hier zeigt sich ihre Zahlenaffinität: Zuerst leitete sie den Bereich Investor Relations, wechselte dann in die Geschäftsleitung von Adecco Deutschland und wurde 2010 CFO von Pontoon Solutions, einer weltweit tätigen Marke der Adecco Gruppe.
Zahlen seien wichtig, aber nicht alles, betont sie. Gerade in ihrer Branche ginge es primär um die Menschen. Das spiegelt sich auch im Verständnis für ihre Führungsrolle: Das Team ist für die Länderchefin zentral. Die wichtigste Aufgabe in einer Führungsposition sieht sie darin, die Stärken der Leute zu erkennen und sie richtig einzusetzen. Und sie geht sogar noch einen Schritt weiter. „Immer wenn ich einen neuen Job beginne, fange ich schon wieder an zu überlegen, wer nach mir übernehmen könnte.“ Das klinge zwar etwas extrem, aber es sei ihrer Meinung nach wichtig, ein Team aufzubauen, das einen ersetzen könne. „Das Team muss mindestens so gut oder sogar besser werden als du selbst. Wenn man das auf allen Stufen im Unternehmen so handhabt, wird die Leistung der ganzen Gruppe besser.“
Um ein starkes Team aufzubauen, müsse man als Führungsperson lernen, Verantwortung zu übertragen, andere zu fördern und dazu zu animieren, nicht nur umzusetzen, sondern selbst die Denk- und Entwicklungsarbeit zu leisten. „Ich will das Beste aus jedem herausholen“, fasst Nicole Burth zusammen. Spannend findet sie das Buch „Multipliers“, in dem Liz Wiseman beschreibt, wie eine Führungsperson andere zu Bestleistungen anregen kann und damit zu einem „Multiplikator“ wird. „Auch wenn das nicht immer einfach ist, ich bin da ganz ehrlich.“ Aber schlussendlich sei der grösste Erfolg eines Managers, wenn man jemanden mitnehmen und ihm eine Karriere geben könne.
Wo die grössten Herausforderungen für Adecco Switzerland in den nächsten Jahren liegen, ist für Nicole Burth Tschudi nach zehn Jahren in der Branche klar. Das Personalvermittlungsgeschäft durchläuft einen grundlegenden Wandel. „Die ganze Industrie verändert sich aufgrund der Digitalisierung und dem Internet fundamental.“ Früher war das Kerngeschäft in den Filialen draussen, wo die Kontakte zu den Kandidaten aufgebaut und gepflegt wurden. Heute sind die Bewerber für jeden zugänglich auf Plattformen wie Linkedin und Xing, gerade auch dann, wenn es um höherqualifizierte Stellen geht.
Adecco müsse ihr Serviceangebot diesen neuen Gegebenheiten anpassen. „Die Compliance-Seite ist viel wichtiger geworden“, erklärt Burth. Adecco investiert daher viel in die Professionalisierung der Abwicklung, sorgt dafür, dass Verträge in jedem Land den lokalen gesetzlichen Bestimmungen entsprechen, die Lohnabrechnungen zeitnah und korrekt gemacht werden und die Abläufe dank dem Einsatz von IT-Lösungen optimiert werden können. Allein in der Schweiz arbeiten jährlich etwa 40‘000 Menschen auf Verleihbasis für Adecco, da ist eine reibungslose Abwicklung elementar.
Eine weitere Chance, sich zu differenzieren, sei der Aufbau und die Pflege eines Netzwerks an Spezialisten für Bereiche, in denen gut ausgebildete Fachkräfte schwer zu finden sind. „Wir durchlaufen derzeit einen umfassenden Transformationsprozess, den wir in den nächsten Jahren aktiv mitgestalten wollen“, fasst sie zusammen.
Angesichts dieser Herausforderungen stellt sich die Frage, ob ein CEO denn auch Schwächen haben dürfe. „Absolut“, ist die klare Antwort der Länderchefin. Man müsse zu Fehlern stehen und jene Aufgaben delegieren, die andere besser erledigen können. „Eine gute Selbsteinschätzung ist in einer Führungsrolle sehr wichtig.“
Den Ausgleich zu ihrem anspruchsvollen Job findet die 43-Jährige bei ihrer Familie und im Sport. Nicole Burth Tschudi hat zwei Kinder und ist bei Adecco Switzerland zu 90% angestellt. Dass sie ihre Rollen als Mutter zweier Kinder und als CEO unter einen Hut bringen kann, sieht sie als Glücksfall. „Ich hätte auf der Führungsebene extrem gerne mehr Frauen um mich herum, aber ich verstehe, dass es sehr anspruchsvoll ist, die Familie zu organisieren und gleichzeitig eine Führungsrolle auszufüllen. Man muss das wollen.“ Ein Umfeld, das unterstützt und eine Aufgabenteilung ermöglicht, ist in ihren Augen zentral. Auch hier erkennt man wieder den starken Teamgedanken, der sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht.
Das gilt ebenfalls für ihre sportlichen Aktivitäten: Über Mittag wird sie wieder mit ihrem Team joggen gehen. „Sport ist für mich sehr wichtig, um Energie zu tanken und wieder frisch im Kopf zu werden. Ich freue mich schon.“