Hoff entlich hatt e Ihre Mutt er keine schwere Grippe während der Schwangerschaft. Sonst verdienen Sie in späteren Jahren im Durchschnitt etwa 9 Pro- zent weniger als jene, die dem Virus im Mutt erleib nicht ausgesetz t waren. Die ökonomische Auswer- tung von Daten bringt Erstaunliches zutage. Sie kann uns wertvolle Hinweise liefern, in welchen Bereichen präventive Massnahmen langfristig sinnvoll – und auch lohnenswert – wären. Gerade die frühkindliche Entwicklung stellt in vielen Belangen die Weichen für die Zukunft. Dies ist eines der Forschungsfelder, denen sich der Öko- nom Hannes Schwandt widmet, der am Jacobs Center for Productive Youth Development an der Universität Zürich untersucht, wie die Lebensbe- dingungen vom frühen Kindes- bis ins Jugendalter die spätere Gesundheit und das Potenzial im Ar- beitsleben beeinfl ussen. Das Jacobs Center ist ein Joint Venture zwischen der UZH und der Jacobs Foundation. Es umfasst Forschende aus verschie- denen Disziplinen, so etwa aus der Soziologie, der Psychologie und der Ökonomie. «Spezialisierung ist gut, aber die richtigen Antworten auf komplexe Probleme fi ndet man erst, wenn die verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten», ist Lavinia Jacobs, seit 2015 Stiftungsratspräsidentin der Jacobs Foundation, überzeugt. «Wir hoff en, dass die Forschung am Jacobs Center einen weiteren Bei- trag dazu leisten kann, zu verstehen, wie wir als Gesellschaft ein Lebensumfeld schaff en können, das allen Kindern ähnlich gute Startbedingungen mit auf den Weg gibt.» Frühförderung ja, Krippenzwang nein Darüber, wie diese Startbedingungen aussehen sollen, gibt es in der Gesellschaft sehr unter- schiedliche Vorstellungen. «Es ist ein emotionales Thema», wie Lavinia Jacobs im Rahmen ihrer Tätigkeit erlebt. Die studierte Juristin ist mitunter Vorwürfen ausgesetz t, dass sie sich bei den ersten Lebensjahren in einen Bereich einmische, der der Familie vorbehalten bleiben sollte. Sie sieht das Problem teilweise in der Defi nition der Begriffl ich- keiten: «Frühförderung ist nicht gleichbedeutend mit Frühchinesisch. Ich will auch keinen Krippen- zwang.» Die Forschung zeige jedoch, dass es spie- lerische Möglichkeiten gibt, die neurologischen Fähigkeiten und die Feinmotorik von Kindern zu unterstütz en. «Der Staat sollte mehr für eine durchgehend hohe Qualität der Krippen tun, um die Chancengleichheit von Kindern zu fördern», stellt Lavinia Jacobs klar. In diesem Zusammen- hang müsse man auch über die Bildungsrendite sprechen, auch wenn der Begriff oft nicht gerne gehört werde. Früh in Bildung zu investieren, lohnt sich für die ganze Gesellschaft, weil sich so langfristig die Sozialausgaben senken lassen, wie verschiedene wissenschaftliche Studien zeigen. Entsprechend wenig hält sie von der Tendenz, dass die öff entliche Hand bei der Bildung spart. «Ob auf Primarschulstufe oder an den Universitäten – die Schweiz war immer ein Vorbild, was die Bildung anbelangt. Da sehe ich, dass wir zu wenig investieren und andere Länder langsam aufh olen.» Auch der in der Schweiz zu beobachtenden Tendenz hin zu privaten Krippen und Schulen steht sie skeptisch gegenüber. «Ich bin keine Sozialistin, aber die zunehmende Ungleichheit bereitet mir schon Sorgen.» Als die heute 37-Jährige zur Schule ging, war es normal, eine öff entliche Schule zu besu- chen – eine Stärke der Schweiz, wie sie betont. Die durchmischten Klassen fördern den sozialen Austausch zwischen den einkommensstärkeren und den einkommensschwächeren Familien. «Das geht langsam verloren. Wenn ein Klassendenken entsteht, halte ich das für keine gute Tendenz.» Wissen aktiv über Social Media verbreiten Lavinia Jacobs spricht ruhig und überlegt und wirkt auf eine sehr sympathische Art boden- ständig. Unter ihrer Führung ist die Jacobs Foundation, die von ihrem Vater Klaus J. Jacobs gegründet wurde, risikofreudiger geworden. Sie sagt auch mal nein und hat keine Probleme damit, persönlich anzuecken, solange sie der Überzeu- gung ist, dass es im Sinne der Stiftung ist. Auch die Kommunikation hat sich in den letz ten Jahren verändert. Die Stiftung will vermehrt proaktiv Inhalte kommunizieren. «Bei uns sammelt sich über die verschiedenen Forschungskooperationen so viel Wissen – das wollen wir auch nach aussen tragen.» Dazu nütz t die Jacobs Foundation die neuen Kanäle, bloggt und verbreitet das Wissen über Twitt er und andere soziale Medien. Manche der jungen Forscherinnen und Forscher, mit de- nen die Stiftung zusammenarbeitet, erhalten ein spezielles Training, damit sie die wissenschaft- lichen Erkenntnisse in eine Sprache übersetz en können, die das Wissen einer breiteren Öff entlich- keit zugänglich macht. Ist die Universität Zürich hier ihrem Gefühl nach auf dem neuesten Stand? «Ich sehe hier sicher noch Potenzial. US-amerika- nische Universitäten kommunizieren im Vergleich noch aktiver und gezielter.» Wissenschaft in die Gesellschaft bringen – ein Ziel, an dem sowohl die Jacobs Foundation als auch die UZH weiter arbeiten werden. Das Jacobs Center an der Universität Zürich Das Jacobs Center for Productive Youth Development wurde 2003 als Joint Venture zwischen der Universität Zürich und der Jacobs Foundation gegründet. 2015 wurde es zu einem interdisziplinä- ren Forschungszentrum ausgebaut, das sich aus soziologischer, psychologischer und ökonomischer Sicht mit Fragen der Entwicklung und Förderung von Kindern und Jugendlichen sowie den daraus re- sultierenden gesellschaftlichen Aus- wirkungen befasst. In den kommenden 20 Jahren werden die beiden Partner je 35 Millionen CHF beitragen, um die Weiterentwicklung des Centers in eine Forschungsinstitution von Weltrang voran zutreiben. Mehr dazu unter www.jacobscenter.uzh.ch. «Wenn ein Klassen- denken entsteht, halte ich das für keine gute Tendenz.» Lavinia Jacobs Oec. November 2017 7